 
                                        Wenn du schon mal einen steifen Nacken, schmerzende Schultern oder ein ziehendes Gefühl im Rücken hattest, das sich nicht mit Dehnen oder Massagen legen wollte, dann weißt du: Manchmal liegt das Problem nicht in den Muskeln selbst. Es liegt in den Faszien. Und genau da setzt die myofasziale Freisetzung an.
Faszien sind ein Netzwerk aus bindegewebigen Membranen, das deinen ganzen Körper umhüllt - von den Muskeln über die Knochen bis hin zu Organen und Nerven. Sie sind nicht einfach passives Verpackungsmaterial. Faszien sind lebendig, durchblutet und voller Nervenenden. Sie verbinden, stützen und übertragen Kräfte. Wenn sie gesund sind, gleiten sie leicht übereinander. Wenn sie verklebt oder verspannt sind, führt das zu Schmerzen, Bewegungseinschränkungen und sogar zu Kopfschmerzen oder Taubheitsgefühlen.
Stell dir Faszien wie einen feinmaschigen Netzanzug vor, der dich von Kopf bis Fuß umgibt. Wenn du an einer Stelle ziehst - etwa durch langsame, unrichtige Bewegung oder eine Verletzung - kann sich das Netz verziehen. Es verliert seine Elastizität, wird dick und klebrig. Das ist der Zustand, den die myofasziale Freisetzung behandeln soll.
Die myofasziale Freisetzung (MFR) ist eine manuelle Therapieform, bei der sanfter, aber konstanter Druck auf verhärtete oder verklebte Faszien ausgeübt wird. Der Therapeut nutzt dabei seine Hände - manchmal auch spezielle Werkzeuge -, um die Gewebe langsam zu dehnen und zu lockern. Es geht nicht um schnelles Massieren oder Knacken. Es geht um Zeit. Oft dauert eine einzelne Stelle 3 bis 5 Minuten, manchmal länger.
Warum so lange? Weil Faszien auf mechanischen Druck nicht sofort reagieren. Sie brauchen Zeit, um sich zu entspannen. Wenn du zu schnell drückst, zieht sich das Gewebe nur noch mehr zusammen. Aber wenn du sanft und geduldig bleibst, beginnt es nach einigen Minuten, sich zu lösen. Es ist, als würdest du einen verklebten Klebestreifen langsam abziehen - nicht mit einem Ruck, sondern mit ruhiger Konstanz.
Die Behandlung ist nicht immer angenehm. Manchmal spürst du ein brennendes, ziehendes oder sogar pochendes Gefühl. Das ist kein Schmerz im klassischen Sinn, sondern ein Zeichen, dass das Gewebe reagiert. Viele Patienten beschreiben es als „angenehmen Schmerz“ - der sich nach der Behandlung in Wärme und Leichtigkeit verwandelt.
Myofasziale Freisetzung wird nicht nur bei akuten Verletzungen, sondern auch bei chronischen Beschwerden angewendet. Hier sind die häufigsten Anwendungsgebiete:
Studien aus dem Jahr 2023 zeigen, dass Patienten mit chronischen Rückenschmerzen, die über 8 Wochen myofasziale Freisetzung erhielten, eine durchschnittliche Schmerzreduktion von 47 % erlebten - verglichen mit nur 12 % bei reinen Dehnübungen. Das zeigt: Es geht nicht nur um Lockerung, sondern um tiefere Gewebeveränderungen.
Massagen zielen meist auf die Muskulatur. Sie lockern, fördern die Durchblutung und reduzieren Laktat. Die myofasziale Freisetzung hingegen greift tiefer - sie behandelt das Bindegewebe, das Muskeln umgibt und verbindet. Ein Massagetherapeut drückt und reibt. Ein MFR-Therapeut zieht, hält und wartet.
Physiotherapie ist oft bewegungsorientiert: Übungen, Kräftigung, Mobilisation. MFR ist passiv: Du liegst, der Therapeut arbeitet. Beide Methoden können sich ergänzen. Viele Patienten nutzen Physiotherapie, um die Beweglichkeit nach der Faszienbehandlung zu festigen.
Ein Beispiel: Ein Läufer mit wiederkehrenden Schienbeinschmerzen bekommt zunächst Physiotherapie - Dehnungen, Stabilitätsübungen. Der Schmerz bleibt. Dann folgt MFR. Der Therapeut findet eine verklebte Faszie am Unterschenkel, die seit Monaten durch eine alte Verstauchung verhärtet ist. Nach drei Sitzungen ist der Schmerz weg - nicht weil die Muskeln stärker wurden, sondern weil das Gewebe wieder gleiten konnte.
 
Nach einer MFR-Sitzung fühlst du dich oft leichter, aber auch etwas müde. Das ist normal. Dein Körper verarbeitet die Veränderungen. Es kann sein, dass du 24 bis 48 Stunden später etwas verspannt bist - das ist kein Rückschritt, sondern ein Zeichen, dass das Gewebe sich neu organisiert.
Trinke viel Wasser. Es hilft, Abbauprodukte aus dem Gewebe zu spülen. Vermeide intensive Bewegungen am selben Tag. Gehe lieber spazieren, mache sanfte Dehnungen. Dein Körper braucht Ruhe, um die neuen Muster zu stabilisieren.
Einige Patienten berichten von emotionalen Reaktionen - Tränen, Lachen, ein Gefühl der Erleichterung. Das ist kein Zufall. Faszien speichern nicht nur mechanischen Stress, sondern auch emotionale Spannungen. Wenn sich das Gewebe löst, kann auch das, was darin eingekapselt war, freigesetzt werden.
Ja - aber mit Vorsicht. Es gibt viele Hilfsmittel: Foamroller, Faszienbälle, Rollen mit Noppen. Sie können helfen, kleine Bereiche wie die Fußsohle, die Oberschenkel oder den Rücken zu behandeln. Aber sie ersetzen keine professionelle Therapie.
Wenn du einen Foamroller benutzt, achte darauf: Nicht schnell hin- und herrollen. Halte an den schmerzhaften Stellen an - 60 bis 90 Sekunden lang. Atme tief. Wenn du dich verkrampfst, wirkt das Gegenteil von dem, was du willst.
Vermeide es, direkt auf Knochen oder Gelenke zu rollen. Und nie auf den Bauch oder den Nacken, wenn du nicht ausgebildet bist. Falsch angewendet kann MFR mehr schaden als nützen.
Myofasziale Freisetzung ist für die meisten Menschen sicher - aber nicht für alle. Kontraindikationen sind:
Wenn du unsicher bist, sprich mit deinem Arzt oder Physiotherapeuten. Eine gute MFR-Therapie beginnt immer mit einer genauen Anamnese.
 
Es gibt keine Standardanzahl. Es hängt von der Dauer der Beschwerden, der Gewebestruktur und deiner Reaktion ab. Einige spüren nach einer Sitzung eine Verbesserung. Andere brauchen 4 bis 6 Sitzungen, um eine spürbare Veränderung zu erleben.
Bei chronischen Problemen ist eine Behandlung alle 1-2 Wochen über 6-12 Wochen sinnvoll. Danach reichen oft 1-2 Wartungssitzungen pro Monat, um die Ergebnisse zu halten. Viele Patienten kommen danach nur noch bei Bedarf - etwa vor einem langen Lauf oder nach einer stressigen Phase.
Nicht jeder, der sich „Faszientherapeut“ nennt, hat die richtige Ausbildung. Suche nach Therapeuten mit einer anerkannten Zusatzqualifikation wie:
Frage nach der Ausbildung. Ein seriöser Therapeut kann dir sagen, wo er gelernt hat, wie viele Stunden er absolviert hat und welche Patienten er schon behandelt hat. Vermeide Angebote, die „Schnellkurse“ oder „Massagen mit Faszienrollen“ als MFR verkaufen.
Wenn du unter chronischen Schmerzen leidest und alle anderen Methoden nicht geholfen haben, ist myofasziale Freisetzung eine der wenigen Therapien, die wirklich tief greift. Sie behandelt nicht das Symptom - sie löst die Ursache: das verklebte Gewebe.
Beginne nicht mit einem Foamroller auf dem Boden. Suche dir einen erfahrenen Therapeuten. Mache dich auf ein paar Sitzungen gefasst. Gib deinem Körper Zeit. Und höre auf deine Signale - nicht auf das, was andere sagen.
Die Faszien sind dein unsichtbarer Stützrahmen. Wenn du sie wieder beweglich machst, bewegt sich nicht nur dein Körper - du fühlst dich wieder leichter. In deinem Alltag. In deiner Bewegung. In deinem Leben.
Es ist kein angenehmes Gefühl, aber kein schädlicher Schmerz. Du spürst ein starkes Ziehen, Brennen oder Druckgefühl - oft beschrieben als „angenehmer Schmerz“. Wenn es zu heftig wird, sag es dem Therapeuten. Die Behandlung sollte immer im Bereich deiner Toleranz bleiben. Nach der Sitzung fühlt sich der Bereich oft wärmer und lockerer an.
Eine typische Sitzung dauert zwischen 60 und 90 Minuten. Die erste Sitzung ist oft länger, weil der Therapeut deine Geschichte, Bewegungsmuster und Schmerzorte genau erfassen muss. Bei Folgesitzungen wird sich auf die betroffenen Bereiche konzentriert - oft 30 bis 45 Minuten pro Körperregion.
Ja, das ist sogar empfehlenswert. MFR löst die Verklebungen, Physiotherapie baut neue Bewegungsmuster auf. Viele Kliniken bieten beides kombiniert an. Nach einer MFR-Sitzung ist der Körper besonders empfänglich für Übungen - die Muskeln können sich dann besser anpassen.
Einige spüren nach der ersten Sitzung mehr Beweglichkeit oder weniger Schmerz. Bei chronischen Problemen ist es oft nach 3-5 Sitzungen, dass die Veränderung deutlich wird. Wichtig ist: Die Wirkung hält nicht nur an - sie baut sich weiter auf, wenn du dich danach bewegst und nicht wieder in alte Muster verfällst.
In Deutschland werden myofasziale Freisetzungstherapien in der Regel nicht von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen, wenn sie als Ergänzung zur Physiotherapie erfolgt. Privatversicherte oder Zusatzversicherungen zahlen manchmal einen Teil. Es lohnt sich, vorher bei deiner Versicherung nachzufragen. Einige Therapeuten bieten auch Pakete mit reduzierten Preisen an.
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